Von der Agrar-Supermacht zur Agrar-Umwelt-Supermacht

Brasilien ist ein globales Kraftzentrum, was die landwirtschaftliche Produktion angeht. Nicht umsonst hieß es schon in der allerersten Nachricht aus Brasilien an die portugiesische Krone im Jahr 1500 sinngemäß: „Was immer man anbaut, hier wächst alles“. Brasilien hat riesige Flächen fruchtbares Land, viel Wasser und reichlich Sonne. Wichtiger aber noch als diese natürlichen Segnungen sind die technologischen Errungenschaften, die die brasilianische Agrarforschung, insbesondere EMBRAPA, in den vergangenen Jahrzehnten entwickelte. Sie sorgen für kontinuierliche Produktivitätsfortschritte. Brasilien zeigt damit das enorme Potenzial der tropischen Landwirtschaft im 21. Jahrhundert – übrigens auch für andere Kontinente. Brasiliens Wettbewerbsfähigkeit bei Soja, Mais, Fleisch, Kaffee, Orangen und vielen anderen Produkten wird in der Welt bewundert. Die Flächenproduktivität steigt, und damit wird die flächenmäßige Ausdehnung immer weniger eine Vorbedingung für die mengenmäßige Erhöhung der Produktion.

Und doch sind Abholzung und Entwaldung in den vergangenen Jahren wieder steil angestiegen. Obwohl zig Millionen Hektar degradierte Weideflächen zur Verfügung stehen, haben Eigentümer, aber auch kriminelle Landräuber die reiche natürliche Vegetation zerstört, um mithilfe eines unlauteren Wettbewerbs die Produktion zu Dumping-Preisen auszudehnen. Ohne Rücksicht auf Klima und Umwelt werden nicht nur die internationalen Umwelt- und Klimavorgaben, sondern das eigene, fortschrittliche brasilianische Waldgesetz umgangen oder schlichtweg ignoriert.

Brasilien – da bin ich mir sehr sicher – wird auch in Zukunft einer der großen globalen Agrarproduzenten sein, aber die Wettbewerbsverzerrung durch Entwaldung muss der Vergangenheit angehören. Deutschland und Europa bieten sich als Partner Brasiliens an – für einen Übergang zu einer nachhaltigen und klimagerechten Agrar- und Ernährungswirtschaft.

Nicht nur in Deutschland wollen Verbraucherinnen und Verbraucher verstärkt wissen, wo ihre Lebensmittel herkommen und unter welchen Umständen sie erzeugt wurden. Sie wollen die Gewissheit haben, dass ihr Konsumverhalten nicht mit Entwaldung und Umweltzerstörung in Verbindung gebracht wird. Dabei fordern sie immer nachdrücklicher auch die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards ein. Brasilien hat dabei beste Voraussetzungen, von den großen wirtschaftlichen Chancen, die eine Umstellung auf eine nachhaltigere Produktion mit sich bringt, zu profitieren. 

Was ich von der neuen Regierung in Brasilien im Jahr 2023 erwarte, sind schnelle und entschlossene Schritte, um zunächst die illegale Entwaldung im Amazonas und im Cerrado zu stoppen. Die umweltpolitischen Schutzmechanismen und Institutionen müssen schnell wiederaufgebaut werden. Deutschland steht bereit, die neue Regierung dabei zu unterstützen. Gemeinsam mit Norwegen haben wir schon angekündigt, den Fundo Amazônia wieder zu beleben. Deutschland wird sich aber auch darüber hinaus in Brasilien für Klima und Nachhaltigkeit engagieren. 

Ich bin davon überzeugt, dass Brasilien im 21. Jahrhundert für viele Länder, z.B. in Sub-Sahara Afrika, ein Leuchtturm und beispielhaft sein wird für eine hochproduktive, aber nachhaltige tropische Landwirtschaft. Brasiliens Landwirtschaft wird die Emission von Klimagasen reduzieren und Kohlendioxid in Form von Humus dauerhaft im Boden fixieren. Damit wird das Land einen strategischen Beitrag für die notwendige Dekarbonisierung der globalen Wirtschaft leisten.

Ich bin optimistisch, dass die neue Regierung in Brasilien ab Januar 2023 diesen Weg beschreitet: Landwirtschaftliche Produktivität kontinuierlich steigern, ohne die Umwelt zu belasten, konsequent und entschieden die Entwaldung stoppen und eine kohlenstoffarme Landwirtschaft voranbringen. Deutschland will dabei auch von Brasilien lernen. Beide Länder reichen sich die Hand für das globale Gut des Klimaschutzes, einer nachhaltigen Landwirtschaft und der Ernährungssicherheit für heute acht Milliarden Menschen.

Autor

Heiko Thoms, Deutscher Botschafter in Brasilien bis April 2023

Heiko Thoms

Heiko Thoms, Deutscher Botschafter in Brasilien bis April 2023