Da Absatzmärkte wie die EU immer höhere Anforderungen stellen, muss die Branche ihre Rückverfolgbarkeitssysteme verbessern, um das Abholzungsrisiko zu erkennen und zu beseitigen und die positiven Auswirkungen einer verantwortungsvollen Wertschöpfungskette darzustellen.
Nach Angaben des brasilianischen Statistikamtes IBGE ist Brasilien mit einem Viehbestand von 224,6 Millionen Tieren im Jahr 2021 der zweitgrößte Rindfleischproduzent der Welt, nach den Vereinigten Staaten. Im Jahr 2021 lag Brasilien mit einer Produktion von 10 Millionen Tonnen knapp hinter dem US-amerikanischen Spitzenreiter, der in diesem Jahr nach Angaben des US-Landwirtschaftsministeriums und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) 12 Millionen Tonnen Rindfleisch produzierte. Bei den Exporten liegt Brasilien an der Spitze, rund ein Viertel der Produktion wird an andere Länder verkauft. Im Jahr 2022 wurden rund 2,9 Millionen Tonnen brasilianisches Fleisch exportiert.
Die EU erwarb im Jahr 2021 77.000 Tonnen brasilianisches Rindfleisch, das sind 16 % des europäischen Marktes in jenem Jahr. Im Jahr 2022 lag Deutschland an 18. Stelle im Import von brasilianischem Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen mit etwas mehr als 8.000 Tonnen oder 0,3 % der gesamten brasilianischen Exporte. Der größte Abnehmer von brasilianischem Fleisch ist China mit 39,2 %, wie aus den Daten des brasilianischen Verbands für Fleischexport (Associação Brasileira das Indústrias Exportadoras de Carnes ABIEC) für 2021 hervorgeht. Bei Leder hat Deutschland einen höheren Anteil an den brasilianischen Exporten: auch 2022 war Deutschland mit 2.800 Tonnen der fünftgrößte Importeur von brasilianischem Leder. Trotz der hohen Position in der Rangliste macht die Menge nur 0,8 % der Gesamtexporte aus.
Auch wenn Deutschland als eine der wichtigsten Volkswirtschaften der Europäischen Union keine Spitzenposition unter den Zielländern von brasilianischem Fleisch und Leder einnimmt, so spielt es doch eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der öffentlichen Politik und kann die Lösungsfindung für ein Problem unterstützen, das in der Produktionskette der brasilianischen Viehwirtschaft immer noch besteht: die Abholzung der Wälder. Mindestens 17 % der Fleischexporte in die Europäische Union, die aus Betrieben in den Biomen Amazonas und Cerrado stammen, könnten von illegaler Abholzung bedroht sein, so die Studie „The rotten apples of Brazil’s agribusiness“[i], die 2020 in der Zeitschrift Science veröffentlicht wurde. Eine weitere Studie, „Förderplitik für die abholzungsfreie Viehwirtschaft im Amazonas – Políticas para desenvolver a pecuária na Amazônia sem desmatamento“[ii], die vom Institut für Mensch und Umwelt (Instituto do Homem e Meio Ambiente da Amazônia – Imazon) im Rahmen des Projekts Amazônia 2030 erstellt wurde, zeigt, dass bis 2019 90 % der abgeholzten Flächen in der Region in Weideland umgewandelt wurden.
Alle Unternehmen und politischen Akteure, die an der Produktion und Vermarktung von brasilianischem Fleisch und Leder beteiligt sind, sollten ein Interesse haben, die Verantwortlichen für die illegale Abholzung zur Rechenschaft zu ziehen. In einer gemeinsamen Anstrengung haben die Bundesstaatsanwaltschaft (MPF), Imaflora und die wichtigsten Schlachthöfe und Einzelhändler, die Rindfleisch aus dem Amazonasgebiet verkaufen, das Programm Boi na Linha ins Leben gerufen, das die Umsetzung von sozial-ökologischen Verpflichtungen in dieser Kette stärken und fördern soll. Von den schätzungsweise 250 Rinderschlachthöfen im Amazonasgebiet haben sich etwas mehr als 100 abholzungsfreien Lieferketten verpflichtet. Davon gehören zwischen 35 bis 40 zu den wichtigsten Unternehmen der Branche, von denen sich die meisten mit einem überdurchschnittlichen Risikomanagement für den Export qualifizierten. Zusätzlich zu diesen Unternehmen und deren Kooperationsbemühungen ist noch eines der drei wichtigsten Lederverarbeitungs- und Exportunternehmen mit an Bord. Das Projekt Boi na Linha hat verschiedene Tools eingerichtet, um die Sozial- und Umweltvereinbarungen umzusetzen, beispielsweise Protokolle zur Überwachung landwirtschaftlicher Betriebe und Erzeuger, zur Überprüfung der Lieferkettensorgfaltspflichten und einen weiteren für den Einzelhandel. Alle diese Protokolle sollen Kriterien standardisieren, Verfahren harmonisieren und Elemente bereitstellen, die den verschiedenen Gliedern der Kette helfen, die Vereinbarungen umzusetzen und deren Einhaltung durch die Akteure zu überprüfen.
Doch trotz der in den letzten Jahren beobachteten Fortschritte und der Versprechen der Unternehmen, die Entwaldung mit klar definierten Zielen auf Null zu reduzieren, ist Brasilien von entwaldungsfreien Lieferketten noch weit entfernt. An diesem Punkt können Maßnahmen wie die neue europäische Gesetzgebung, die Sanktionen für Exporteure und den Einfuhrstopp von Waren aus abgeholzten Gebieten vorsieht, als Anreiz für die Umstrukturierung der Lieferkette dienen und die laufenden Maßnahmen stärken, damit Erzeuger auf abgeholzten Flächen ihre Situation klären und sich wieder verantwortungsvoll in den Markt integrieren können.
Das Hauptproblem besteht darin, dass die Tiere während ihres Lebenszyklus in der Aufzucht-, Mast- und Schlachtphase mehrere Betriebe durchlaufen können, was die Rückverfolgbarkeit der Tiere erschwert. Darüber hinaus gibt es im Amazonasgebiet unterschiedliche Produktionssysteme für Landwirtschaft und Viehzucht, darunter auch kleine Familienbetriebe, die neben der Aufzucht von Milch- und Schlachtvieh, eine diversifizierte Landwirtschaft mit einjährigen und mehrjährigen Kulturen betreiben. Im Jahr 2006 lag der Anteil der Familienbetriebe an der Bruttorinder- und Büffelproduktion im Norden Brasiliens laut einer Studie des FGV IBRE, die im Buch „Caminhos para uma Agricultura Familiar sob Bases Ecológicas: Produzindo con Baixa Emissão de Carbono“[iii]des IPAM veröffentlicht wurde, bei 39 %, was die große Kapillarität der Lieferkette zeigt.
Die Schlachthöfe sind in der Lage, ihre direkten Lieferanten zu kontrollieren, aber das Abholzungsrisiko in den Zucht- oder Aufzuchtbetrieben ist schwer nachzuverfolgen. Selbst die von den größten Schlachtbetrieben des Landes entwickelten Systeme mit fortschrittlichen Technologien wie Blockchain, erreichen diese weiter entfernten Glieder nicht. Die verfügbaren Daten werden spontan in einer Selbsterklärung an den Endlieferanten weitergeleitet, der dann den Schlachtbetrieb informiert.
Strategien, die als mögliche Lösungen für dieses Problem aufgezeigt wurden, werden auch kontrovers diskutiert: insbesondere der Datenabgleich zwischen den Transportunterlagen GTA (Guias de Trânsito Animal) und dem Umweltkataster CAR (Cadastro Ambiental Rural). Die GTAs sind Transportunterlagen, die ausgestellt werden müssen, wenn Tiere von einem Betrieb zum anderen oder auch zu Auktionen, zur Zucht oder zur Schlachtung transportiert werden. Das Umweltkataster CAR hingegen ist ein in der neuesten Fassung der Forstgesetze vorgesehenes Register, um Umweltregeln in der Landnutzung zu etablieren. Durch den Abgleich beider Daten mit anderen geografischen Daten, einschließlich den Entwaldungsraten, kann die Entwaldung in der Lieferkette von Rindfleisch ermittelt werden. Doch selbst ein sorgfältiger Abgleich stößt auf Hindernisse.
Zunächst einmal sträuben sich die Erzeuger gegen den Einsatz der Transportpapiere (GTA) für Umweltfragen. Die Offenlegung solcher Daten könne zu anderen Zwecken missbraucht werden und zu kommerziellen und strategischen Verlusten für die Erzeuger führen. Ferner könnten Erzeuger, um dem Vorwurf der Abholzung zu entgehen, Informationen fälschen, und die gesamte Überwachung durch die Gesundheitsbehörden in Gefahr bringen. Darüber hinaus kann allein in den Transportpapieren nicht alle Herkunfts- und Bestimmungsorte der gehandelten Tiere erfasst werden, da hier die Informationen in Chargen angegeben werden, ohne jegliche Aufzeichnungen über das Management während des Aufenthalts der Tiere im ausstellenden Betrieb. Dennoch sollte man deren Einsatz als wesentliches Element für die Rückverfolgbarkeit in besonderen Fällen nicht verwerfen.
Das Umweltkataster CAR hat allerdings das Potenzial, die Einhaltung von Umweltauflagen zu überwachen, Konflikte und Unstimmigkeiten in den Besitz- und Landnutzungsverhältnissen im Amazonas aufzudecken und Lösungen zu suchen. Hierfür muss das CAR weiter vervollständigt werden. Derzeit sind nur 0,94 % der Angaben, die auf Selbsterklärungen der Erzeuger beruhen, überprüft worden, um die Informationen abzugleichen und zu bestätigen. Es gibt immer wieder Überschneidungen mit öffentlichen Räumen, indigenen Gebieten und Schutzgebieten. Ermittlungen des Observatoriums De Olho nos Ruralistas, das vom „Monitor de Olhos Fechados para o Desmatamento“[iv] zitiert und im September 2022 von der Organisation Repórter Brasil veröffentlicht wurde, liegen mindestens 7.739 der von den Landwirten an das Umweltkataster gemeldeten Grundstücke mit einer Gesamtfläche von mehr als 12 Millionen Hektar teilweise in indigenen Gebieten (Terras Indígenas TI).
Obwohl es sich um wichtige Instrumente zur Regulierung der Branche handelt, ist die Verwendung von Primärdaten aus den GTAs und CARs unzureichend, um ein wahrheitsgetreues Bild zu vermitteln und Nichtkonformitäten aufzudecken. Um dieses Problem zu lösen ist ein individuelles Rückverfolgbarkeitssystem für jedes Tier, das den gesamten Lebenszyklus bis zur Schlachtung überwacht, notwendig. Angesichts der Größe des brasilianischen Viehbestands ist eine vollständige Rückverfolgbarkeit durch eine individuelle Kennzeichnung mühsam und sollte schrittweise und nach und nach geplant werden. Dabei sind Maßnahmen zu priorisieren, die den Grad des Entwaldungsrisikos als entscheidendes Element berücksichtigen und mit den Zielen der Branche (2025) und der Regierung (2030) für den Entwaldungsstopp in Brasilien übereinstimmen. Trotz der oben genannten Einschränkungen beim Datenabgleich aus GTAs und CARs, könnten diese in Regionen mit geringem Risiko, beispielsweise in Gebieten mit konsolidierter Landnutzung und ohne drohende Entwaldung als erste Verfahren verwendet werden.
Die Strategie für den Aufbau und die Umsetzung eines Rückverfolgbarkeitssystems muss ausreichend Zeit für die vollständige Anpassung des Produktionssektors sicherstellen, um machbar und wirksam zu sein, und einen verantwortungsbewussten, auf Nachhaltigkeit bedachten Produktionssektor fördern. Dies darf natürlich nicht auf unnötige Verzögerungen hinauslaufen, da die Gebiete mit hohem Abholzungsrisiko in den brasilianischen Biomen dringend geschützt werden müssen, um illegale Praktiken zu stoppen. Dieses Gleichgewicht kann nur durch eine enge Abstimmung zwischen den beteiligten Akteuren unter der Leitung der Exekutiven der Bundesregierung erreicht werden, es müssen Räumen für den Dialog mit den Wertschöpfungsketten der Agrarrohstoffe geschaffen werden, sowohl in den Arbeitgeberverbänden als auch bei den landwirtschaftlichen Familienbetrieben, bei den Organisationen der Zivilgesellschaft, den Wissenschaftlern und Verbrauchermärkten, damit diese zeitnah Zugang zu Daten erhalten, um mit Analysen, Kontrollen, Studien und kommerziellen Entscheidungen beitragen zu können. Das Informationsmanagement muss den staatlichen und föderalen Regierungsbehörden vorbehalten bleiben, mit Unterstützung von neutralen und unabhängigen Stellen, um gegebenenfalls die nationale Gesetzgebung und darüberhinausgehende Vorschriften nachzubessern.
Der brasilianische Landwirtschaftsverband (CNA) legte unlängst dem Ministerium für Landwirtschaft und Viehzucht (MAPA) einen Vorschlag zur Rückverfolgbarkeit vor, der die individuelle Kennzeichnung von Tieren in ganz Brasilien bis zum Jahr 2030 anstrebt – zwei wichtige Neuerungen, die die Diskussionen leiten sollten. Der Weg zu einem adäquaten System erfordert Zeit und muss gleichzeitig die Fristen von unterschiedlichen Partnern einhalten, ist jedoch notwendig, damit Brasilien in der Rindfleischproduktion und im Export an der Weltspitze bleiben kann, mit der Zuverlässigkeit und Verantwortung, die diese Positionen erfordern.
HINWEISE
[i] RAJÃO, R., SOARES-FILHO, B., NUNES, F., BÖRNER, J., MACHADO, L., ASSIS, D., … & GIBBS, H. (2020). The rotten apples of Brazil’s agribusiness. Science, 369(6501), 246-248
[ii] BARRETO, P. Políticas para desenvolver a pecuária na Amazônia sem desmatamento. Amazônia 2030. 2021. Einzusehen unter: https://amazonia2030.org.br/wp- content/uploads/2021/09/pecuaria-extrativa_final_Paulo-Barreto-1.pdf. Aufgerufen am: 22. Juni 2023
[iii] AZEVEDO, A. A; CAMPANILLI, M.; PEREIRA, C. (Org.). Caminhos para uma Agricultura Familiar sob bases Ecológicas: produzindo com Baixa Emissão de Carbono. 1. ed. revisada e atual. – Brasília, DF : IPAM, 2015.
[iv] Dallabrida, P.; Harari, I; Hofmeister, N (Org.). De Olhos Fechados para o Desmatamento. 2022. Einzusehen unter: https://reporterbrasil.org.br/wp-content/uploads/2022/09/220902- Monitor-Pecu%C3%A1ria-PT-06.pdf. Aufgerufen am: 22. Juni 2023.